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Im Archiv stehen alle Geschichten außer der letzten. Das sind die Geschichten, die am Anfang dieser Internet-Seite oder in den Cuxhavener Nachrichten erstmalig veröffentlicht waren. Zwischen den Geschichten gibt es zwei Zeichnungen.

 
 
 
   
  zeichnung leuchtturm alte liebe  
   
 
 

Ich bin eine vorübergehend zugereiste Künstlerin. Künstlerin auf Dienstreise, könnte man sagen.
An meinem ersten Tag in Cuxhaven habe ich gelernt, verschiedene Schiffe zu unterscheiden. Ich habe Containerschiffe gesehen und Lotsenversetzer, Bagger, Frachtfähren, Ausflugsdampfer, Krabbenkutter und Seelenverkäufer. Ein verirrtes Binnenschiff. Mich wurde etwas gelehrt über die frische Praxis der Schlepper: Dass die Schlepper auf Verdacht auf See führen, wenn sie Nachricht von einer Havarie hätten, und mit dem Kapitän in Not verhandelten, welcher Anteil an Schiff und Fracht ihnen gehöre, wenn sie ihn retteten. Dass die Kapitäne in Not schneidige Männer seien, die die Schlepper gegeneinander ausspielten. Die Hamburger Schlepper heißen Bugsier. Nach altem Recht lägen sie in erster Reihe, könnten darum am schnellsten rausfahren und die besten Geschäfte machen. Einen Fischdampfer unter estischer Flagge habe ich in der Schleuse gesehen. Am Abend in der "Elbe 1" wurde ich aufgeklärt, dass er aus Murmansk gekommen und also russisch sei. Dort hängt auch eine kolorierte Fotomontage von der "Wiesbaden", die der letzte Fischdampfer von Cuxhaven gewesen, jetzt aber nach Polen verkauft worden sei. Das Bild zeigt sie in rauer See vor rauen Bergen.
Der Bürgermeister ist Hotelier. Das kommt mir anrüchig vor. Jeden Tag lädt ein kleiner Frachter Kosmetika, Butter und Alkohol und bringt sie nach Helgoland. Am nächsten Tag bringen die Passagiere der "Wappen von Hamburg" die Ladung zurück.

 
 
 
   
 zeichnung kaemmererplatz  
   
 
 

In meiner zweiten Woche in Cuxhaven ist Ringelnatz in mein Leben getreten. Dass es in Japan einen Sänger gebe, der Ringelnatzlieder singe, habe ich erfahren. Vielleicht so wie Reinhard Mey auf japanisch, sagt Lisa Köster. Im vergangenen Jahr sei er mit dem japanischen Fernsehen angereist, um einen Film über Ringelnatz zu drehen. Besonders die Wortbeiträge derer, die eindrucksvoll mit den Händen gefuchtelt hätten, seien beim japanischen Fernsehen gut angekommen, sagen Lisa Köster und Wilhelm von der Recke, zum Beispiel ihrer beider Beiträge. Woran man sehe, dass beim Fernsehen nur die Show zähle.

Im Ringelnatzmuseum habe ich gelesen, dass Herr Ringelnatz im Jahr 1923 gute Geschäfte gemacht habe, „im Inflationsjahr 1923, als viele Menschen ihr Geld in krisenfeste Kunstwerke investierten“. Die Erkenntnis, dass Menschen in Krisenzeiten die Kunst als krisenfest erachten, war neu für mich, und ich habe mich gefragt, warum dieser für meinen Berufsstand so erfreuliche Zusammenhang in der Lehre an deutschen Kunsthochschulen vernachlässigt wird.

Ich bin Künstlerin auf Dienstreise und betreibe mit Bildern Tauschgeschäfte. Mit Lisa Köster bin ich schon handelseinig geworden: Sie wünscht sich von mir ein Bild, das mit Ringelnatz zu tun hat, und ich bekomme einen Stammtisch in ihrer Kneipe, die Ringelnatz heißt. Jeden Dienstagabend sind dort alle, die am Projekt interessiert sind, zu Schmalzbroten eingeladen.
Eines ihrer liebsten Bilder sei ein Kunstdruck von Dali, den ihr Chef an der Wand hängen gehabt habe, als sie noch im Krankenhaus arbeitete. 27 Jahre lang habe sie dieses Bild gesehen! Ein Bild sei schön, sagt sie, wenn sie bis zu ihrem Lebensende Neues darauf entdecken könne. Ich äußere Zweifel, ob mein Bild das wird erfüllen können. Sie tröstet mich, so furchtbar lange würde sie ja nicht mehr leben.

Von ihr habe ich etwas gelernt über das Aufwärmen unterkühlter Schiffsbesatzungen: Langsam habe man sie zu wärmen, ganz langsam und ohne Rum. Nicht so wie damals, als die München gesunken ist vor Grönland. 27 Männer seien gestorben, obwohl die Augsburg nach einer halben Stunde schon zu Hilfe gekommen sei, und viele von ihnen seien gestorben, als man versucht habe sie aufzutauen.
Wieso die Cuxhavener Fischdampfer nach süddeutschen Städten hießen, habe ich mich gefragt, und ob man sich in diesen Städten über die Namen gefreut hat.

Außerdem weiß ich jetzt, dass der größte deutsche Umschlagplatz für Fische Frankfurt ist. Jede Nacht lande dort ein Fischflugzeug nach dem anderen, sagt Herr Mohr. Auch nach Cuxhaven kämen die meisten Fische nicht mit dem Schiff, sondern im Lastwagen. Dass aber auch nichts in der Welt so ist, wie man sich das vorstellt und wie man die Kinder lehrt!

 
 
 
   
zeichnung fischkristall  
   
 

Großartiges wird erzählt von den Reichtümern des Landes Hadeln. Einundzwanzig Knechte habe sein Großvater gehabt, sagt Herr Mohr, und acht Mägde seien seiner Großmutter zur Hand gegangen. Sogar lateinische Nachnamen haben sich einige der Bauern im 17. und 18. Jahrhundert zugelegt, als das in Mode war. Ihre Söhne haben Lateinschulen besucht, und sie seien so gebildet gewesen, dass sie sich in lateinischer Sprache unterhalten hätten. Sein Großvater, sagt Herr Mohr, habe mit seinen Freunden lateinisch gesprochen.
Sie haben herrliche Kirchen bauen lassen. Einen Kantor, einen Organisten und drei Pastoren habe so eine Dorfkirche gehabt, sagt Herr von der Recke, und das nicht, weil es so viel Arbeit für sie gegeben habe. Der Pastor als Prestigeobjekt ist heute nicht mehr so üblich, denke ich mir.
In der Kirche von Lüdingworth gibt es eine Galerie, die nur durch eine Außentreppe zu erreichen ist. Dort saßen die reichen Bauern, von denen es viele gab. Es sei üblich gewesen, den Anfang des Gottesdienstes bis zum Lied vor der Predigt in der Wirtschaft abzuwarten. Sie bauten schöne Kirchen und schonten sie, habe ich sagen hören.
Auch in der Kirche von Altenbruch bin ich gewesen. Eine Ecke ist mit hölzernen Gittern abgeteilt. Die gäbe es seit dem späten Mittelalter. Dort hätten die Landstreicher gesessen, die aus dem Gefängnis zum Gottesdienst gebracht worden seien.
Altenbruch hat auch einen Leuchtturm. In den Leuchtturm hat mich der Leuchtturmsverein geladen, der mir einen Tauschhandel vorgeschlagen hat. Sie bieten einen Abend oder eine Nacht im Leuchtturm an. Ich habe mit Freuden eingeschlagen. Zu wunderbaren Gedanken wird man dort angeregt, zum Beispiel zur Unterscheidung eines Festfeuers vom Blitz-, Blink- oder gar Funkelfeuer. Das Bild, das sie sich wünschen, soll den Leuchtturm zum Thema haben und den Alltag der Arbeit eines Leuchtturmwärters. Außerdem soll es den Einsatz der Bürger und Bürgerinnen zum Ausdruck bringen, der den Erhalt des Leuchtturms möglich gemacht hat. Die erhandelte Nachtwache soll im Oktober stattfinden, wenn es dunkel und stürmisch ist.

Im übrigen möchte ich sagen, dass ich es sehr freundlich finde, dass in Cuxhaven die Urlauber Kurgäste genannt werden.
Mir sind auch schon die Veranstaltungen in der Konzertmuschel am Döser Strand aufgefallen, wo die Kurverwaltung Programm macht. Zum Auftritt kam eine Ritzebütteler Formation. Früher seien jeden Sommer die Bückeburger Jäger verpflichtet worden, dann habe man sie sich nur noch für einen Monat im Jahr geleistet, und jetzt bestritten die Ritzebütteler den Nachmittag.
Ich habe eine Veranstaltung in der Konzertmuschel erhandelt, zu der ich alle Kurgäste und alle Cuxhavener eingeladen habe. Es war eine Stunde zum Mitsingen, und sie hat am letzten Dienstagvormittag stattgefunden. Zum Singen sind über 100 Menschen gekommen. Herr Erdt ist Organist und zu Gast in Cuxhaven. Er hat das Singen begleitet. Ich habe ihn bei einem Freiluftgottesdienst am Ahoi-Bad kennen gelernt. Die Bühne, die zum Einsatz kam, hat mich an Dosenwerfen und Loseziehen erinnert, nur dass sie mit Wellen bemalt war und einen Pastor trug. Herr Erdt hat drei Söhne. Ich habe ein Schiff für sie gemalt, das hatten sie sich ausgesucht. Ich stelle mir vor, wie es bald in ihrem Zimmer in Süddeutschland hängt.

 
 
 
   
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