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In meiner zweiten Woche in Cuxhaven ist Ringelnatz in mein Leben
getreten. Dass es in Japan einen Sänger gebe, der Ringelnatzlieder
singe, habe ich erfahren. Vielleicht so wie Reinhard Mey auf japanisch,
sagt Lisa Köster. Im vergangenen Jahr sei er mit dem japanischen
Fernsehen angereist, um einen Film über Ringelnatz zu drehen.
Besonders die Wortbeiträge derer, die eindrucksvoll mit den
Händen gefuchtelt hätten, seien beim japanischen Fernsehen
gut angekommen, sagen Lisa Köster und Wilhelm von der Recke,
zum Beispiel ihrer beider Beiträge. Woran man sehe, dass beim
Fernsehen nur die Show zähle.
Im Ringelnatzmuseum habe ich gelesen, dass Herr Ringelnatz im Jahr
1923 gute Geschäfte gemacht habe, im Inflationsjahr 1923,
als viele Menschen ihr Geld in krisenfeste Kunstwerke investierten.
Die Erkenntnis, dass Menschen in Krisenzeiten die Kunst als krisenfest
erachten, war neu für mich, und ich habe mich gefragt, warum
dieser für meinen Berufsstand so erfreuliche Zusammenhang in
der Lehre an deutschen Kunsthochschulen vernachlässigt wird.
Ich bin Künstlerin auf Dienstreise und betreibe mit Bildern
Tauschgeschäfte. Mit Lisa Köster bin ich schon handelseinig
geworden: Sie wünscht sich von mir ein Bild, das mit Ringelnatz
zu tun hat, und ich bekomme einen Stammtisch in ihrer Kneipe, die
Ringelnatz heißt. Jeden Dienstagabend sind dort alle, die
am Projekt interessiert sind, zu Schmalzbroten eingeladen.
Eines ihrer liebsten Bilder sei ein Kunstdruck von Dali, den ihr
Chef an der Wand hängen gehabt habe, als sie noch im Krankenhaus
arbeitete. 27 Jahre lang habe sie dieses Bild gesehen! Ein Bild
sei schön, sagt sie, wenn sie bis zu ihrem Lebensende Neues
darauf entdecken könne. Ich äußere Zweifel, ob mein
Bild das wird erfüllen können. Sie tröstet mich,
so furchtbar lange würde sie ja nicht mehr leben.
Von ihr habe ich etwas gelernt über das Aufwärmen unterkühlter
Schiffsbesatzungen: Langsam habe man sie zu wärmen, ganz langsam
und ohne Rum. Nicht so wie damals, als die München gesunken
ist vor Grönland. 27 Männer seien gestorben, obwohl die
Augsburg nach einer halben Stunde schon zu Hilfe gekommen sei, und
viele von ihnen seien gestorben, als man versucht habe sie aufzutauen.
Wieso die Cuxhavener Fischdampfer nach süddeutschen Städten
hießen, habe ich mich gefragt, und ob man sich in diesen Städten
über die Namen gefreut hat.
Außerdem weiß ich jetzt, dass der größte
deutsche Umschlagplatz für Fische Frankfurt ist. Jede Nacht
lande dort ein Fischflugzeug nach dem anderen, sagt Herr Mohr. Auch
nach Cuxhaven kämen die meisten Fische nicht mit dem Schiff,
sondern im Lastwagen. Dass aber auch nichts in der Welt so ist,
wie man sich das vorstellt und wie man die Kinder lehrt!
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